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das magazine n. 2/2017

Wessen Perspektive? Unsere Perspektive!

Im ersten Teil von Aldnia Doara begaben wir uns auf eine Spurensuche. Wir besuchten Orte, die bis vor drei Jahren das Zentrum der Refugee Proteste Berlins waren. Orte, an denen gelebt, Kunst ausgestellt, demonstriert und protestiert wurde, Workshops und Versammlungen stattfanden: der Oranienplatz, die Gerhart-Hauptmann-Schule. Der Räumung des O-Platzes, wo schließlich auch der Protest der Aktivistin Napuli ein Ende fand und sie von der Platane herunterstieg, auf der sie tagelang ausgeharrt hatte, folgte aber kein Stillstand. Die Aktivist*innen von damals führen die Bewegung weiter. Sie aktivieren andere Gruppen, sich zu solidarisieren. Neue Bündnisse werden eingegangen und neue Fragen werden gestellt. Neue Formen des Protestes werden gefunden, wie der Community Carnival, eine künstlerische Demo mit zwanzig Trucks die eine Gestaltung und ein Programm mit Reden, Performances und Musik zu verschiedenen Themen haben.
Angesichts einer Entwicklung, die es ermöglicht hat, dass die Alternative für Deutschland mit 13 Prozent in den Bundestag einzieht, in der eine sogenannte „Leitkultur“ propagiert wird und immer neue Wege gefunden werden, Geflüchtete abzuschieben und politische Maßnahmen getroffen werden, die es verhindern, Deutschland überhaupt erst zu erreichen, gewinnt die Bewegung umso mehr an Bedeutung.
Von einem neuen „Marshall-Plan“ ist die Rede. Die Grenze der EU wird weiter nach Süden verschoben. „Transitzonen“, ein reiner Euphemismus für gefängnisähnliche Lager, werden eingerichtet. Verträge mit diktatorischen Regierungen werden zu diesem Zweck geschlossen.
Der O-Platz ist menschenleer, aus der Gerhart-Hauptmann-Schule wurde kein Community Zentrum, aber die Bewegung selbst kann nicht geräumt werden!

Wessen Perspektive? Unsere Perspektive!

Zu Beginn unseres Projektes diskutierten wir unser allgemeines Verständnis von Journalismus. Kann Journalismus jemals „neutral“ sein? Gibt es so etwas wie objektiven Journalismus, bei dem Journalist*innen einfach beobachten und berichten, ohne Position zu beziehen? Wie ist das bei Konflikten zwischen Nationen oder anderen Gruppen? Würden diese das gleiche berichten?
Wir sprachen über verschiedene Formen von Journalismus und Journalist*innen. Ein Beispiel, dass wir diskutierten, war der „eingebettete Journalismus“ oder auch „embedded journalism“:  Journalist*innen aus Großbritannien, Deutschland, hauptsächlich aber den USA, hatten während des Irak-Kriegs das Angebot, Truppen der US-amerikanischen und britischen Armee zu begleiten und berichteten dementsprechend aus der Perspektive der einmarschierenden Soldat*innen es wurden Bilder produziert, die wie eine groteskes Ego-Shooter-Spiel anmuten.
Unsere Auseinandersetzung warf viele Fragen auf. Wir entschieden uns, das Prinzip des embedded journalism umzukehren: wir würden aus der Refugee Bewegung heraus über die Bewegung berichten. Das entspricht der Idee eines Bürgerjournalismus von Egon Erwin Kisch. Und damit eine Perspektive repräsentieren, die sonst in der Mainstream-Medienberichterstattung nicht vorkommt: die Perspektive Geflüchteter selbst.
[Schon bei der Besetzung des O-Platzes wurde immer wieder kritisiert, dass immer nur über die Protestierenden gesprochen wurde, anstatt sie selbst sprechen zu lassen. Natürlich gab es und gibt es viele Medien, die von Geflüchteten initiiert wurden und produziert werden, wie das movements journal oder Räume wie den Community Sender Alex TV. ]
Das Team von AlDnia Doara entschied, die laufenden Vorbereitungen des Community Carnivals als Anlass zu nehmen, die aktuelle Bewegung zu dokumentieren.

Der CommUnity Carnival

Der CC brachte Geschichten, Perspektiven und Forderungen Geflüchteter auf die Straßen Berlins – Von Moabit bis zum Oranienplatz, einem Symbol des Widerstands Geflüchteter. Als ein Moment von Unity brachte er ein breites Bündnis selbstorganisierter, aktivistischer Gruppen und Organisationen aus ganz Deutschland zusammen und setzte ein Zeichen gegen Rassismus und rechte Bewegungen, gegen das Asylregime der EU und die Entmenschlichung von Geflüchteten. Forderungen nach einer gerechten Gesellschaft mit allgemeingültigen Bürgerrechten für alle, an der alle teilhaben, wurden hörbar und sichtbar.

„Angst essen Seele auf!“

Fragen und künstlerische Auseinandersetzung, die sich durch den Karneval zogen, beschäftigten sich mit dem Thema der „Angst“. Warum? Überall in Europa bezeugen wir einen Aufschwung rechtspopulistischer Bewegungen, die Tag für Tag stärker werden. Wir beobachten, wie sie Rassismus und Angst schüren, wie sie Menschen für antimuslimischen Rassismus mobilisieren. Angst ist ein Instrument der Macht, das immer genutzt wurde, um rechte Politik zu rechtfertigen und Menschen zu kontrollieren. Mit Angst werden „Feinde der Gesellschaft“ konstruiert. Die Geschichte hat uns gezeigt, wie leicht es ist einen Sündenbock zu erschaffen um von wirklichen Problemen abzulenken. Die in der öffentlichen Debatte präsenten Ängste gründen auf der Idee, dass die „Anderen“ fremd und feindlich sind.
Der Community Carnival nutzte das Groteske, um sich über die Angst lustig zu machen, um Widersprüche und Ungleichheiten aufzudecken und fragt auch, woher die Angst kommt, wessen Ängste ernst genommen werden und wessen nicht.

Was ist Karneval?

Nach Michail Bachtin (russischer Philosoph und Literaturkritiker, 1895 –1975) kommt der Karneval aus einer
populären Tradition, in der sich Kunst und das Leben begegnen. Karneval ist ein kollektiv aufgeführtes Stück in dem groteske Momente und Übertreibungen entstehen. Die Grenze zwischen Schauspieler*innen und Zuschauer*innen verschwimmt. Eine Vielfalt von Stimmen kommt zum Vorschein, die sich verbinden um Traditionen zu hinterfragen, sich Hierarchien zu widersetzen und wirklichen Austausch zu ermöglichen. Karneval entlarvt das bestehende System als veränderbar. Er macht das Verfallsdatum sichtbar. Das Karnevaleske ist eine Polyphonie der Stimmen und Sprachen. Karneval steht für eine Kultur des Lachens von unten - gegen die Herrschenden und Privilegierten.




 

Der Inhalt

INHALT2-2017
CommUnity Carnival
16.09. 2017
Berichte
Interviews
Videos und Bilder
Die Porträts von
Zwei Aktivist*innen:
Alix Nadege
und
Mike Momo
Gedichte und Geschichten
in Bewegung:
Meisterwerk der Senatorin
von Amer
7 Tage bei den Hakawati
von Mouyyad
How many shoes?
von Alix und Veronica

Die Redaktion

Die Redaktion n2
JOURNALIST*INNEN: Muchtar Almuchtar, Taner Özkan, Mike Momo, Mouyyad Al Masri, Gianna Korn, Hawa Souma.
 
Kollaborateure: Dinah Büchner, Ahmed Alashkar, Marwa Darwiche, Mayada Darwiche, Jamil Dishman, Abdulmajid Sedawi, Jem Kaplan, Sarah Amjad, Hassan Rashid, Alix Nadege, Veronica Schiavo, Amer.
Künstlerische Leitung: Ahmed Shah.
Künstlerische Assistenz: Dinah Büchner, Samee Ullah.
Fotograf: Ras Adauto.
Production und Videoberatung: Katharina La Hanges.
Web Design: Veronica Schiavo.

Credits

Credits n2

Aldnia Doara ist ein Koproduktionsprojekt des Bündnisses für Kultur:

Joliba e.V., Nijinski Arts Internacional e.V. und Free Kashmir e.V.

mit der selbstorganisierten Theatergruppe Club Al-Hakawati und AWO-Refugio Buch

gefördert aus Mitteln des Programms "Kultur macht stark"

in Zusammenarbeit mit Türkische Gemeinde in Deutschland e.V./Mein Land – Zeit für Zukunft.

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