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das magazine n. 2/2017

Text zum O-Platz von Amer, 2016

MEISTERWERK DER SENATORIN

 

Freilich ist es ein Meisterwerk der Senatorin!

 

Da ist ein Bild in der Zeitung, auf dem

Berliner Senatorinnen und ihr Bürgermeister lächeln, nachdem

angekündigt wird, dass ein Teil der Flüchtlinge einen Deal eingehen, indem

sie ihre Besetzung beenden.

Es ist ein Lächeln von denen,

denen es gelungen ist, durch das Teilen ihre Gegner zu beherrschen.

Es ist ein Lächeln der Sieger,

ein Lächeln, das zum Himmel stinkt,

ein Lächeln, das Übelkeit erregt

und in meinem Magen

dreht sich alles.

 

Aber Freilich ist es ein Meisterwerk der Senatorin!

 

Da gibt es eine Aufnahme von unserer Frau Integrationssenatorin, auf der

sie eine Haltung zeigt, mit der

ihr als Einzige gelungen ist, unseren Herrn Innensenator zu übertrumpfen.

'Lasst die Flüchtlinge in Ruhe!' fordert sie

und präsentiert ihre Lösung ohne Säbel?

Sie hat uns die Kunst des Führens vorgeführt.

Das heißt: sie hat es geschafft

Die Verzweiflung zu nutzen

Die Hoffnung zu nehmen

Die Besetzer von Besetzer von Unterstützer zu trennen.

Sie hat den Widerstand umarmt und verführt.

Im Kommentar wird sie schon zur Bürgermeisterkandidatin gekürt.

Es heuchelt kräftig,

die Heuchelei stinkt zum Himmel,

und mein Magen drückt hoch in den Hals.

 

Aber Freilich ist es ein Meisterwerk der Senatorin!

 

Schick, Frau Integrationssenatorin, schick, schick,

Integrationspoltisches Verhandlungsgeschick!

Versprich

einige Einzel-Lösungen und „wohlwollende Überprüfungen“

aber alles janz unverbindlich.

Schenke einige vorübergehende Notunterkünfte und Duldungen

und alles bleibt janz friedlich.

 

Friedlich?

 

Zack, zack!

Hammer und Brecheisen machen tack tack!

Bau Ab! Haut ab!

Flüchtlinge bekämpfen Flüchtlinge! Hut ab!

„Eine grosse Leistung“ lobt sie und meint sich selbst.

Grün, grün,

die Bürgermeisterin kündigt es an:

der O-Platz wird endlich wieder grün sein.

 

Ihre Ordnung stinkt zum Himmel,

Zum Teufel Ich kann es nicht mehr ausstehen,

Ich kotze ab.....

 

Freilich über das Meisterwerk der Senatorin....

 

Danach geht’s mir besser und ich sehe wieder klar,

wofür wir kämpften und wofür er da war

 

und ist und sein wird:

für das Ende der Residenzpflicht

für das Ende der Abschiebungen

für gleiche Sozialleistungen

für ein Recht auf Wohnung

- in Kurz: für das Ende des deutschen Asylsystems.

 

Der O-Platz ist nicht weg!

Der O-Platz, war nicht, er ist,

der O Platz ist überall!

 

Damit ihr Lächeln vergeht,

Damit ihre Heuchelei nicht mehr zieht,

Damit die Zukunft ihre Lügen bestraft,

 

Damit dieses Meisterwerk der Senatorin ihr erstes und letztes war.

Sagen wir es ganz laut:

Ihre Ordnung, Frau Integrationssenatorin, ist auf Sand gebaut!

7 Tage bei den Hakawati

von Mouyyad


Er ist in Syrien zur Welt gekommen. Die Stadt mit dem schönen Namen, war seine. Er ist dort zur Schule gegangen, hat dort studiert und die ersten Schritte in seinen Beruf bewältigt. Es gab Brüder und Schwestern, er hatte Vater und Mutter. An den Wochenenden war es immer sehr vergnüglich. Immer haben sich alle getroffen, die Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen. Sie waren viele. Geschichten erzählen, essen, trinken, singen, tanzen. Sie führten jede Menge Theater auf, spontan ausgedacht, brachten ihre Zuschauer zum lachen, jubeln und weinen. Das Leben war schön.
Er ging noch zur Schule, da starb die Mutter. "Ich werde dich niemals verlassen," das Versprechen für den Vater. "Sie hat sich nichts sehnlicher gewünscht als das," sagte die Direktorin, als er nach der Beerdigung den Unterricht nicht verfolgte, zurückfiel und dick wurde. Das hat ihm geholfen. Sein Abschluss war der beste des Jahrgangs. Sein Vater war stolz, stellvertretend für beide.
Da war plötzlich ein Mädchen, geboren in Deutschland, sprach perfekt Arabisch. Sie wurden gute Freunde, obwohl da eigentlich mehr war, aber es gab ein Aber. Genauso war es bei der Idee, in Deutschland zu studieren. Ein Studium, ein Beruf, die tolle Zukunft, doch wo er war, gab es etwas Wertvolleres. Sein Vater, die Brüder und Schwestern, Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen.
Er hat sich nützlich gemacht, für das Krankenhaus, in dem die Waren ein- und ausgingen und niemand sie richtig gezählt hat. Nachdem die Zahlen dort wieder stimmten, kam der Ruf einer internationale Firma um seine Hilfe. Sein Können sprach sich herum. Bald kontrollierte er auch die Bücher von Freunden, Bekannten und Nachbarn.
Er war jung. Mit seiner Energie versetzte er Berge. Sein Verdienst war in Ordnung. Sein Alltag erfüllt. Die Wochenenden waren schön, gaben Kraft für alles andere. Er baute ein Haus. Wenn er diejenige gefunden hatte, mit der er sein Leben leben wollte, würde er darin wohnen. Dann würde er seine Familie noch größer machen und sie würden die alten Geschichten weiter erzählen, würden essen, trinken, singen, tanzen und noch mehr Theater spielen.
Dann begannen die Kämpfe in der Stadt mit dem schönen Namen. Auf einmal war nichts mehr so, wie alle es kannten in dem Land, in dem sie einst geboren worden waren. Am schlimmsten waren die Bomben, die alles zerstörten, wegen denen so viele starben. In seinem Bezirk wohnten knapp 100.000 Menschen. Nach einer Weile nur noch die Hälfte. Und irgendwann grade mal noch 5000. "Wo ist Muhammed?" "Er ist weg." "Wo ist Ibrahim?" "Er ist weg." "Hier hat doch Aisha gewohnt, mit ihren vielen Kindern?" "Sie sind weg."
Es war der Nachbar gewesen. Er weiß es genau. Der dem er die Bücher gemacht hat, der eigentlich ein Freund war. Der Nachbar wusste genau, wo er immer Schutz gesucht hatte. Sie waren sehr grob. Zuerst tat es nur weh. Danach konnte er nichts mehr fühlen. Irgendwann war es nicht mehr zu ertragen. Dann blendete er den Schmerz aus. Die Gefühle zerbrachen unter den Knüppeln und Sohlen, den Stichen und Schrauben. Was früher mal war, ging auf Distanz. "Wer bist du?" "Dein Vater."
Wie weich kann Stein sein?
Aber, dann haben sie es geschafft, haben ihn da wieder raus geholt. Doch er konnte nicht bleiben. Sie haben ihn in die Türkei geschickt. Zur Behandlung. Die Zahlen waren weg. Auch das Singen und Tanzen. Und auch die Geschichten. Als es wieder ging, ging er los, denn hier konnte er nicht bleiben. Ein Zurück war nicht mehr da. Über das Land. Über das Meer. Kilometer um Kilometer auf Asphalt, über Wiesen, durch Wälder, bei Nacht, bei Tag. Die Straßen zogen sich. Sie waren 23, die es gemeinsam geschafft haben. Ein Polizist sagte, "du musst deinen Fingerabdruck da lassen, dann kannst du weiter." Und sagte auch, "du bist jetzt in Deutschland."
Da fiel es von ihm ab. Das, was so weh tat, was so schwer gewogen hatte bis dahin. Er ging weiter und weiter und weiter. Irgendwann erreichte er Berlin. Schnell fand er einen Platz in einer Unterkunft. Seitdem ist Annika in seinem Leben. Sie bekam schnell mit, dass er gut Englisch sprach. Gemeinsam mit ihr hat er so vielen geholfen, die sich nicht verständigen konnten, weil ihnen die Zeit nicht gereicht hat, die Sprachen zu lernen, die sie können müssten, wenn sie da weg mussten, wo sie immer gelebt haben, wo sie aufgewachsen sind, wo sie alles kannten, wo sie immer gegessen und getrunken, gelacht, geweint und gesungen haben. Und Annika hatte so viele Freunde, die ihn auch brauchten. Und die ihm damit geholfen haben. Ein Tag nach dem andern verging und es war gut. Auch das Früher kam langsam wieder zurück. Endlich konnte er auch das Gesicht wieder sehen, das er vergessen hatte.
Doch dann wird es plötzlich wieder kalt und warm und kalt und warm um ihn. "Du hast keinen Anspruch auf einen Kurs, denn du hast kein Recht dazu hier zu bleiben." Der Polizist hatte gelogen. Seine Fingerabdrücke lagen in Kroatien. Doch sein Deutsch konnte ihm bereits niemand mehr nehmen. Das hat er mit Annika gelernt, die keine eigenen Kinder braucht, weil sie tausende hat, um die sie sich kümmert. Und mit ihren Freunden, denen er so viel geholfen hat und die sich jetzt einsetzen für ihn. Vertreter von Kirchenasyl besuchen ihn, der Flüchtlingsrat und ProAsyl. In seiner Tasche hat er Schlüssel zu sieben Wohnungen in denen er willkommen ist, wann immer er will.
Im Juli war sein letzter Termin beim LaGeSo. Endlich hat es geklappt, sein Deutschkurs beginnt am 20. September. Die letzte Woche bevor es ernst wird, verbringt er mit etwas anderem. Eine Freundin sagt, "komm doch mit zum Theater, wir brauchen jede helfende Hand". Helfen ist, was er am besten kann. Viele Menschen sind da, sie hämmern Latten zusammen, schneiden Pappe zu und bringen sie an, malen große Buchstaben drauf und Bilder. "Neokolonialismus", "Rassismus, nein danke", "Abschiebung stoppen", "We are here because you are there". Dabei sprechen sie Arabisch, Albanisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Französisch, Urdu und Deutsch. Alle arbeiten zusammen. Die Plakate und Banner entstehen auch ohne, dass sie Geld dafür bekämen. Er ist gespannt, letzte Jahr gab´s das schon mal. Dieses Jahr wird´s größer. Sie kommen aus ganz Deutschland.
Bei der Probe fällt jemand aus. Es ist die Szene, in der ein Kind seine Mutter in den Trümmern sucht. Es fällt ihm leicht, das zu spielen. Genau das hat er selbst gesehen. Wie oft stand er gerade noch mit Menschen  zusammen, die nachdem er sich herumdrehte, dort in die Luft geflogen sind, wo er grade noch stand. Schlimm. Die Erinnerungen. Schrecklich. Die Taten.
Am Samstag spielt er wie besessen. Nichts kann ihn davon abhalten.  Wenn er nicht spielt. sichert er das Seil, das den Platz für die Theatergruppe um den Wagen begrenzt. 10 000 Menschen sind unterwegs durch Berlin. Alle kommen aus verschiedenen Ländern, alle haben das gleiche Ziel. Alle erzählen die Geschichten von allen, alle essen, trinken, singen und tanzen. Und er spielt Theater. Zusammen mit den anderen. Die die ihnen zuschauen stöhnen, weinen und klatschen.
Ab Montag geht er morgens zum Deutschunterricht. Abends macht er Fahrschule und ein bis zwei mal in der Woche wird er ins Theater gehen.
Das Leben geht weiter.



 

How many shoes?

by Alix and Veronica

How many shoes? How many steps?

How many stories in front of a door?

Old shoes and new shoes,

The shoes of a diaspora, of a dead road in the desert

Or the shoes for new steps, here among your steps.

 

Do you know how many shoes are in front of my door?

 

A long line

In front of every door

In your new lagers in Brandenburg

Next to seas of trees

And nothing, nothing more.

 

And here

We drown again

In a sea of indifference

Or hate.

 

We are like sardines in a can

10 or 15 people

Shoulder to shoulder in a room

And outside is nothing

Nothing more

Than seas of trees.

 

With my friends,

Sisters and brothers,

We buy old shoes for new steps

In your flew markets.

 

We can’t stop moving,

This is bigger than

You and me.

 

This is the history

Of humanity.

Gedichte und Geschichten in Bewegung

Masterwerk und 7 Tage
How many shoes
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